Der Läufer
Ich sass hinter einem Bretterstapel
an einem warmen Frühlingstag
lauter bunte Blumen und Schmetterlinge taumelten
in der warmen Luft. Das Leben einfangend.
Ich duckte mich wollte nicht gesehen werden
mein Lesebuch aufschlagend bei Seite 144.
 
Der Läufer – oh, was hasste ich diese Geschichte,
es gab kein Entrinnen, nur ein stilles Seufzen, über die 12 Seiten
klein geschrieben die ich abschreiben sollte, musste...
Schönschrift, hatte der Lehrer noch zynisch gesagt.
An einem Sonntagnachmittag – schreiben.
 
Ich begann zu schreiben: der Moment am Start
wie sich alle hinstellten... angespannt warteten auf den Schuss, 
der kommen musste.
Der Augenblick wo alle losschnellen würden - unerbittlich.
Mein Herz klopfte, irgendwie wollte meine Hand nicht gehorchen 
ob soviel Ungerechtigkeit und doch musste ich es tun,
sonst würde ich noch viel mehr schreiben müssen.
Wie er sagte - und er sagte es ja deutlich genug, ganz genüsslich
vor der ganzen Klasse – mein Lehrer.
 
Der Läufer war schon längst losgesprungen und kämpfte 
seinen Kampf, müde und verschwitzt rannte er seiner Linie entlang
ob er es schaffen würde?
Würde ich es schaffen all das über ihn zu schreiben?
Viel lieber wollte ich spielen, den torkelnden Schmetterlingen
nachspringen und meinen Drachen steigen lassen hoch hinauf.  
Das Leben einfangen. Nur nicht schreiben!
 
Seufzend begann ich Wort um Wort zu schreiben
wie wenn ich den Läufer einholen könnte
ich schrie ihm zu: halt doch endlich an damit ich nicht so viel schreiben muss
ich komm nicht mit ich schaff das nicht - aber er lief und lief
er schien mich nicht zu hören - denn sein Ziel war zu gewinnen
Ich merkte nicht wie die Zeit verging.
Mutter rief irgendwann – auch das noch - dachte ich, und duckte mich
ich war längst nicht fertig mit dem Läufer
erst 23 Seiten, 23 unendliche Seiten...
oh wie ich diese Geschichte hasste und den Lehrer, 
dessen Hass mich  überall begleitete.
 
Es half nichts - ich musste schreiben .
Der Läufer hatte längst sein Ziel erreicht, müde
und abgeschlagen und ich habe es verpasst, mir zu merken
ob er nun doch gewonnen hatte.  
Oder ob er auch nur so ein Versager war wie ich - in den Augen des Lehrers.
Ich jedenfalls – meinte ich... die Geschichte schrieb ich mühsam zu Ende.
Langsam fiel die Dämmerung über mich und ich war kurz eingeschlafen
ob all den Worten, Sätzen, Seiten und ob dem Läufer...
Ja, ich hasste ihn, weil ich über ihn schreiben musste.
 
Und den Lehrer weil er den längsten Text des Lesebuches 
nur für mich gewählt hatte.
Wie wenn diese Geschichte Jahrzehnte auf mich gewartet hätte - Ironie.
Irgendwie musste der Lehrer mich mögen, er zwang mich geradezu
meine ganze Zeit mit ihm zu verbringen, sogar in Gedanken. Unglaublich.
 
Wieder einmal meinte ich, ich hätte verloren, wieder einmal
war die Strafe unermesslich hart und wieder einmal nahm ich sie.
Und wieder einmal meinte ich, er würde mich nie kriegen.
Irgendwie konnte ich nicht mehr und ich lag einfach da
über meinen Aufgaben die längstens fertig waren 
und weinte stumm
denn niemand sah es - der Abend hatte sich längst 
über mich geneigt,
deckte gnädig meine Tränen,
bis Mutter mich rief.

 

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